Bekenntnisse

Ey, Alter, 

das war voll-grass!

Nr. 539 – vom 5. April 2012
Die BILD-Postille, die ihre PR-Hymnen auf irgendwelche Superstars gern mit Attributen wie „wahnsinnig super“ oder „echt irre“ bestückt, kriegte sich scheinbar kaum noch ein vor lauter Begeisterung: „Irres Gedicht gegen Israel“. Doch diesmal trog der Schein, denn das Adjektiv „irre“ war hier nur Ausdruck irren Entsetzens. „Günter Grass empört ganz Deutschland“, so erfährt man es aus der Überzeile.
 
„Ganz Deutschland“ besteht offenbar aus der Sekte der deutschen Feuilletonisten und der Kaste der empörungspflichtigen Politiker. Zumindest ich gehöre nicht zu ganz Deutschland, denn ich gehöre auch nicht zu den Empörten – eher zu den Gelangweilten. Eben weil es mich langweilt, wenn Leitartikel als Poesie ausgegeben werden. Und wenn mir ein später Blechtrommler mit erigierten Zeigefinger seine letzten Wahrheiten ins Hirn knüppeln will, empört mich das auch nicht groß. Ich blättere einfach in der Zeitung weiter und denke mir: Da wächst irgendwann wieder Grass drüber...
 
Einerseits hat Grass ja Recht: Daß in Israel derzeit eine ultrarechte, erzgefährliche Regierung am friedensfeindlichen Drücker ist mit einem Außenminister Liebermann, der mit seinem fanatischen Araberhass auch von liberalen israelischen Blättern bei seiner Ernennung als rassistischer Faschist bezeichnet wurde (Wochenschauer vom 27.3.2009) – das ist nun mal eine Tatsache. Daß man sie nicht benennen darf, ohne von allen Broders in „Welt“ und „Bild“ und „Spiegel“ als Israelfeind oder gar als Antisemit tituliert zu werden, ist ebenfalls eine Tatsache. Aber das berührt mich nicht weiter – eben, weil ich den Buchholz kenne und weiß, daß der kein Israelfeind ist. Er bzw. ich war da viel zu gerne. Und wer mich als Antisemiten bezeichnet, der kaschiert damit nur seinen dumpfhirnigen Antibuchholzismus. Sein Problem. Juckt mich also nicht.
 
Andererseits: Daß im Iran ein (wenn auch historisch leugnender) Holocaust-Fanatiker an der Macht ist, der Israel lieber heute morgen als morgen von diesem Erdball löschen will, ist eine viel schwerwiegendere Tatsache. Wenn Grass den verharmlosend als „Maulhelden“ abtut, zeugt das nicht gerade von Hirnheldentum. Es ist geradezu hirnrissig, so zu tun, als sei Israel darauf aus, das iranische Volk auszulöschen. Selbst der von Grass gefürchtete Erstschlag wäre ja kein atomarer, sondern einer, der die Zerstörung der möglichen atomaren Waffenfabriken im Iran zum Ziel hätte.
 
Aber bitte sehr, über Leitartikel in welcher Form auch immer kann man streiten. Das ist im günstigsten Fall auch ihre nützliche Funktion. Was mir aber bei unserem Nobel-Dichter voll-grass auf die Nerven geht, ist die taschentuchfetzige Weinerlichkeit, mit der er seine Rechthaberei vor sich hin wimmert. Das fängt bei den ersten Sätzen an:
 
„Warum schweige ich, verschweige
zu lange,
was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wurde, an deren Ende als
Überlebende
wir allenfalls Fußnoten sind.“
 
Da wird der Klagegesang von Opfern angestimmt. Sind wir doch „allenfalls Fußnoten“ als „Überlebende“ irgendwelcher Planspiele. Wir! Im Kontext mit Israel hat es schon einen eigenwilligen deutschen Dichter-Charme, wenn ein gewesener Jung-SS-ler von uns als den Überlebenden spricht. Aber die Planspieler sitzen nun mal in Israel. Sie sind die Täter. Wir sind die Opfer. Jüdische Täter, deutsche Opfer... Das wäre die Kurzfassung. Ganz sicher eine Über-Interpretation. Natürlich hat Grass das nicht so gemeint. Aber die Subtexte unter den Worten geben nun mal in der Lyrik den Unterton an. Das gerade macht ihren Reiz aus. Und der Text von Grass behauptet ja, ein Gedicht zu sein. Hat er da verdichtet, was ihm unbewußt auf der deutschen Unterschwelle herumtrappst als seltsame Nachtigall? (Schon mit seiner Erzählung „Der Krebsgang“ über den Untergang der „Wilhelm Gustloff“ lag Grass voll im Trend, deutsche Vergangenheit zu bewältigen als letzten Opfergang eines unschuldigen Volkes.)
 
Der Leidensdruck des Dichters wird aber noch dadurch verstärkt, daß er die Wahrheit eigentlich nicht sagen darf und sie in qualvollen Preßwehen ächzend hervorstößt:
„Warum schweige ich, verschweige ich zu lange...“.
Das zieht sich als Basso continuo durch das ganze Jammerwerk:
„Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes, dem sich mein Schweigen untergeordnet hat...“
Und: „Doch warum untersage ich mir, jenes andere Land beim Namen zu nennen...“
Und: „Warum aber schwieg ich bislang...“
Und: „Warum sage ich jetzt erst, gealtert und mit letzter Tinte...“

Schließlich heldenhaft: „Ich schweige nicht mehr...“

Soll heißen: Endlich sagt’s mal einer! Endlich wagt einer, die Wahrheit auszusprechen. Warum erinnert mich das so penetrant an all die Sarrazins und Barings und Broders und wie unsere mutigen anti-islamischen Tabubrecher sonst noch heißen, mit denen Grass nun garantiert nicht in einem Topf verschmort werden will? Die Botschaften sind unterschiedlich, der schrille German Sound ist aber derselbe. Nämlich: Man wird es ja wohl noch sagen dürfen...
 
Grassens lyrisches Heldenwerk trägt denn auch den Titel: „Was gesagt werden muß“. Und was muß, das muß. Und zwar raus. So ist es nun mal, wenn ein alter Dichter die letzte Tinte nicht mehr halten kann...


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Übrigens: Auch ich als geistig inkontinenter Un-Dichter habe in meinem Gedichtband (hier zu erstehen) ein Poem abgesondert zu diesem unbezwingbaren Drang, endlich mal die ganze unterdrückte Wahrheit rauszulassen, um sie im hohen Bogen vor sich hinzupieseln. Wobei es sich ja meist um rechte Propheten handelt, die normalerweise das öffentliche Urinal der BILD-Zeitung und des Spiegel benutzen dürfen, um schlagzeilenfett vor sich hin zu strullen.


Wechselgesang
im deutschen Klartext
 
Es wird doch wohl erlaubt sein, mal zu sagen...
Es muß doch einer mal die Wahrheit auszusprechen wagen...
 
Diese stinkfaulen Hartz-Schmarotzer! Die asozialen Sarkophagen,
die Leichenwürmer, die uns das Gemeinwesen zernagen!
 
Die Griechen, unser Geld verprassend in wüstesten Gelagen,
wie lange soll’n wir die denn in Europa noch ertragen?
 
Die Juden... nun, die lagen uns seit jeher schwer im Magen!
Wann hören die mal endlich auf mit ihren antideutschen Klagen!
 
Die Gutmenschen, die multikulti uns das Lebensrecht versagen,
uns mit der Auschwitzkeule gnadenlos bejagen!
 
Die Minarette, die bald jeden Kirchturm überragen!
Der Islamist, der uns verarscht in vorgebeugten After-Lagen!
 
Die Muselmänner, die uns über-zeugen mit perfidem Wohlbehagen!
So wird das deutsche Volk getürkt, und das seit Jahr’ und Tagen!
 
Wohin des Zeitgeists Winde uns auch tragen,
wir werden nicht political correct verzagen!
 
Es wird doch wohl erlaubt sein, mal zu sagen...
Es muß doch einer mal die Wahrheit auszusprechen wagen...